Auf der Straße nach Fairview | [Short Story]
„Guten Abend“ sagte der Mann.
Die Frau zuckte zusammen. „Hi.“
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
„Nein … ja. Er ist schon unterwegs.“
„Wer? Wer ist unterwegs?“
„Mein … Verlobter. Er ist in diese Richtung gegangen, um Benzin zu kaufen.“
Der Mann blickte die leere Straße hinunter. „Ach, Ihnen ist also der Sprit ausgegangen?“
„Ich vermute, ja.“
„Sie sind sich also nicht sicher?“
„Doch. Er hat gesagt, dass er Benzin holen muss.“
„Wo wollten Sie denn hin?“
Sie deutete vage. „In diese Richtung.“
„Also in Richtung Fairview.“
„Ja? Führt diese Straße nach Fairview?“
Der Mann sah sich um. Wüste erstreckte sich in alle Richtungen. „Hören Sie, verzeihen Sie, ich möchte nicht indiskret wirken, aber in dieser Gegend ist es äußerst ungewöhnlich, dass jemandem das Benzin ausgeht. Wer diese Straße nimmt, weiß für gewöhnlich, dass er Vorkehrungen treffen muss.“
„Welche Vorkehrungen?“
„Wenn Sie hier liegenbleiben und in der Früh die Sonne aufgeht, dann kann es hier ziemlich ungemütlich werden. Tagsüber wird es hier sehr heiß, verstehen Sie? Bis zu 120 Grad Fahrenheit. Und wer weiß, wann ein anderes Fahrzeug hier vorbei kommt.“
Die Frau umklammerte ihre Handtasche. „Ja, aber ich bin mir sicher, dass er bald zurückkommt.“
„Ihr Verlobter, wie?“
„… Ja.“
„Haben Sie wenigstens etwas zu trinken?“
„Leider, es tut mir leid. Wir haben gar nichts im Wagen.“
„Ich meine, Sie sollten etwas zu trinken dabei haben. Es ist sehr gefährlich, kein Wasser im Auto zu haben.“
„Danke, dass Sie sich Sorgen machen. Aber mir geht es gut.“
„Ja, noch. Warten Sie, ich gebe Ihnen etwas. Ich gehe zu meinem Wagen und hole einen Kanister.“
„Nein, nein danke. Ich möchte nicht … wenn er zurück kommt und … ich meine. Er wird bestimmt etwas mitbringen.“
„So? Wird er das?“
„Bitte, bitte lassen Sie mich.“
„Ich tue Ihnen nichts.“
Die Frau trat einen Schritt zurück. „Ja, aber bitte gehen Sie. Fahren Sie weiter. Wenn er … wenn er Sie bei mir sieht. Er ist sehr … eifersüchtig.“
„Dann sollte er Sie hier nicht alleine in der Wüste stehen lassen, Ihr Verlobter.“
„Ich weiß ja auch nicht.“
„Dann finden wir es gemeinsam heraus.“
„Nein, bitte, bitte. Ich flehe Sie an. Er wird kommen und … er hat eine Waffe.“
„Eine Pistole?“
„Ja.“
„Verstehe. Wie heißen Sie?“
„Cathrin. Und jetzt lassen Sie mich bitte.“
„Mein Name ist Edward Longley. Ich habe ein neues Stück Land hier in der Gegend gekauft. Zwölf Meilen in dieser Richtung. Dort steht mein Wohnwagen. Wenn Sie und Ihr Verlobter möchten …“
„Auf gar keinen Fall!“
„Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will.“
„Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht kränken.“
„Darum geht es nicht. Cathrin, haben Sie Angst vor Ihrem Verlobten?“
Stille. Nur das Zirpen der Grillen war zu hören.
„Es ist doch Ihr Verlobter, oder?“
Cathrin zeigte plötzlich zum Himmel. „Da, eine Sternschnuppe!“
„Tatsächlich. Und so hell.“
„Meine Mutter hat immer gesagt, wenn du eine Sternschnuppe siehst, dann ist jemand gestorben.“
„Cathrin, Sie müssen mir jetzt zuhören. Sie müssen mir vertrauen. Ich habe das ganz deutliche Gefühl, dass Sie es sind, deren Leben in Gefahr ist.“
„Wieso glauben Sie das?“
„Sie können mir doch nichts vormachen. Eine Frau ganz alleine in der Wüste hat Angst vor ihrem Verlobten und seiner Waffe. Da stimmt doch etwas nicht.“
„Lassen Sie mich. Und bringen Sie sich lieber selbst in Sicherheit. Denn wenn er zurückkommt …“
„Cathrin, wie sieht Ihr Verlobter aus?“
„Er ist klein. Kleiner als ich.“
„… und trägt einen grauen Anzug. Rote Hosenträger. Und einen schwarzen Hut.“
„Woher wissen Sie das?“
„Weil ich ihn gesehen habe.“
„Dann, sind Sie an ihm vorbei gefahren?“
„Ich habe ihn an einer Busstation gesehen. Er ist in den Bus eingestiegen. Richtung Owaya.“
„Ist dort die nächste Tankstelle?“
„Die Busstation befindet sich direkt an einer Tankstelle. Ich selbst habe dort getankt. Und mir einen Kanister Wasser gekauft. Ihr Verlobter kam herein und hat sich zwei Schachteln Zigaretten gekauft.“
„Aber, aber er hat doch gesagt …“
„Haben Sie Gepäck dabei?“
„Nur meine Handtasche.“
„Gut. Ich werde jetzt Richtung Frairview fahren. Und Sie werden zu mir in den Wagen steigen. Und dann werden wir gemeinsam zur Polizei gehen.“
„Zur Polizei?“
„Ja. Denn heute Nacht wurde auf Sie ein Mordanschlag verübt.“
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