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  • Vom Nutzen, unnütz zu sein

    Neulich wieder Clickbait erlegen: „Only geniuses can solve this!“, „Test your IQ now!“, „Can you beat the puzzle?“ – man kennt das. Nach drei Fragen schon gelangweilt: Muster erkennen, Reihen fortsetzen, Puzzles lösen. Da kam mir der ketzerische Gedanke: Sind Intelligenztests nicht in Wahrheit Idiotentests? Prüfungen, ob jemand bereit ist, Aufgaben zu lösen, die nicht die eigenen sind – kurzum, ob er sich bereitwillig instrumentalisieren lässt.

    Man bedenke: Kein Tier, das seit Jahrmillionen überlebt, hat je ein Kreuzworträtsel gelöst. Kein Krokodil, kein Hai, keine Ameise musste je Matrizenreihen vervollständigen, um seine Daseinsberechtigung nachzuweisen. Sie alle gelten als primitiv – während der Mensch, hochbegabt im Lösen künstlicher Aufgaben, es nicht einmal schafft, eine Generation lang keinen Krieg anzufangen oder eine Spezies nicht auszurotten, die ohne sein Zutun vielleicht hundert Millionen Jahre weiterexistiert hätte.

    Vielleicht liegt die wahre Intelligenz nicht darin, jede Aufgabe zu lösen, sondern zu unterscheiden, wann sie einem selbst nützt – und wann man sich bloß einspannen lässt zum Zwecke anderer.

  • Im Tode nicht gleich

    ›Freitod‹ ist das Privileg der Reichen und Gefeierten – Autoren, Unternehmer, Medienschaffende. Ab einer Million Einkommen oder Auflage gilt ein solcher Abgang als tragisch, mitunter edel. Darunter: nur der schmutzige Selbstmord des von prekären Motiven getriebenen Plebs.

    In den Tod folgen – das ist entsprechend dann nur die wohlfeile Variante für jene, deren Leben ansonsten nicht zum Freitod taugte.

  • Doppeltes Spiel

    Doppeltes Spiel

    „Halt … Gib mir einen Kuss.“

    „Jetzt? Hier?“

    „Wer weiß, ob wir später noch Gelegenheit dazu haben.“

    „Okay …“

    Raymond, den Saxophonkoffer in der Hand, zog Phillis mit dem linken Arm an sich heran. Er küsste sie auf den Mund, wobei seine rechte Hand deutlich sichtbar ihren Po quetschte.

    Die Männer im Cadillac starrten vor sich hin. Sie taten so, als bemerkten sie nichts.

    Raymond schob sich die Sonnenbrille zurecht. „Und merk dir: Ganz egal, was dir die Polizei erzählt, was sie dir verspricht – du hältst den Mund. Du wusstest von nichts.“

    „Alles klar, Mastermind. Wird schon schiefgehen.“

    „Irgendetwas geht immer schief. Deswegen brauche ich ja dich. Du bringst mir Glück.“

    Phillis bemerkte, dass der Fahrer auf seine Armbanduhr blickte. „Du musst los.“

    Raymond stieg ein, Phillis schlug die Seitentür zu.

    Der Motor des 325 PS starken Cadillac Fleetwood gluckerte leise, als der Fahrer sanft das Gaspedal antippte und sich die gut zweieinhalb Tonnen schwere Luxuskarosse langsam in Bewegung setzte.

    Phillis wartete, bis der Wagen am Ende der Straße durch eine große Pfütze fuhr, ehe er nach links abbog und ihren Blicken entschwand. Sie wollte gerade die Stufen zum Eingang nehmen, als ihr Blick auf den Briefkasten fiel. Einem Impuls folgend öffnete sie die kleine, rostige Klappe mit dem charakteristischen leisen Quietschen und zog ein schmales, gelbbraunes Kuvert hervor. Sie blickte die Straße in der anderen Richtung hinunter und erkannte einen jungen Postboten, der gerade seine Fracht auslieferte.

    Zurück im Haus wartete Phillis nicht, bis sie ihren Schreibtisch erreicht hatte, sondern schlitzte das Kuvert geschickt am Rand mit ihrem langen Fingernagel auf, sodass die Öffnung kaum sichtbar war. In diesem Moment klingelte das Telefon.

    „Ja, bitte? … Oh, hi Eleanor. Nein, Raymond ist nicht zu Hause. … Er ist heute schon ein bisschen früher los. Hat irgendwie in der Stadt zu tun. … Ob er einen was? … Einen Brief? Nicht, dass ich wüsste … Natürlich. Ich werde es ihm ausrichten. … Hier, ich notiere es. Bitte deine Mutter zurückrufen … Keine Ursache. Auf bald, Eleanor.“

    Phillis legte auf. Sie machte keine Anstalten, Raymond eine Notiz zu schreiben. Stattdessen zog sie hastig den Brief aus dem Umschlag und sah, dass es sich um ein Versicherungsschreiben handelte. Sie überflog die Zeilen und erkannte schnell, worum es ging.

    Ihre Finger wählten eine Nummer.

    „Yenna. Ich bin’s. Ich brauche deine Hilfe. Es ist etwas geschehen. Oder anders, Raymond ist im Begriff, eine große Dummheit zu begehen. … Ja, das, wovon ich dir erzählt habe … Eben. Ich auch. Aber er hat es sich nun mal in den Kopf gesetzt. Alles für die Band, sagt er immer. Nur jetzt …. Ja, weil jetzt hat er einen Brief bekommen. Dieser Streit mit seiner Mutter, das ist offenbar geklärt. Das Geld aus der Lebensversicherung wird nicht an sie, also an die Witwe ausgezahlt, sondern an Raymond … Genau, so wollte es der Vater. … Das Problem war, dass er einfach nicht mehr daran geglaubt hat, und Raymond, mit seinen ganzen Ideen, und was er alles vorhat, du weißt ja, wie er ist … Genau, aber er ist schon unterwegs. … Verhindern? Natürlich will ich das verhindern. Aber ich kann ja wohl kaum bei der Polizei anrufen … In der Bank? Die würden doch sicher sofort den Notruf betätigen … Oh mein Gott. Die Bank. Ich meine, Mister Coleman. Ich muss ihn sofort anrufen. Ich bin so durcheinander, dass mir das Naheliegendste nicht mehr eingefallen ist. Danke, Yenna. Du weißt von nichts. Bussi.“

    Erneut flogen Phillis‘ Finger über die Wählscheibe, als sie mit großer Sicherheit die nächste Nummer wählte.

    „Charlie-Bärchen, ich bin’s.“

    „Mein Gott. Phillis. Wie oft habe ich dir gesagt, dass du mich nicht in der Bank anrufen sollst?!“

    „Aber Charlie, du weißt doch, ich würde dich nicht in Gefahr bringen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.“

    „Ich rufe dich in der Mittagspause zurück.“

    „Ich fürchte, dann könnte es bereits zu spät sein.“

    „Zu spät? Zu spät für was?“

    „Charlie-Bärchen, ich muss dir etwas gestehen.“

    „Was ist denn jetzt schon wieder?“

    „Raymond, er hat den Schmuck gefunden.“

    „Die Kette?“

    „Ja, die du mir geschenkt hast, Bärchen. Ich hatte sie gut versteckt im Badezimmerschrank. Aber dann hatten wir diesen Rohrbruch und die Handwerker im Haus, und dann hat er sie entdeckt … Es war schrecklich. Er hat mich wieder geschlagen, und dann musste ich ihm alles erzählen.“

    „Du meinst, du hast ihm von mir erzählt?“

    „Ja, Charlie-Bärchen …“

    „Du dummes Ding. Wie konnte das passieren? Weißt du, was bei mir los ist, wenn meine Frau davon erfährt?“

    „Eben. Es tut mir so leid. Aber ich musste es ihm sagen. Er hätte mich sonst totgeschlagen. Und jetzt ist er mit seinen Freunden von der Band unterwegs zu dir in die Bank.“

    „In die Bank? Was will er hier?“

    „Ich weiß es nicht. Aber ich befürchte das Schlimmste. Am besten, du machst den Laden dicht. Wenn er einfach nicht an dich herankommt, wird er sich vielleicht beruhigen.“

    „Du meinst, ich soll die Bank schließen? Das geht nicht so einfach. Alle meine Mitarbeiter sind bereits da. Sie werden Fragen stellen. Draußen warten schon Kunden. In ein paar Minuten kommt der Kurier mit dem Geld.“

    „Eben. Der Kurier. Nicht auszudenken! Ach Charlie-Bärchen. Es tut mir aufrichtig leid, dass ich dir so viele Scherereien mache. Aber ich fürchte, du musst dir etwas einfallen lassen.“

    „Ich muss mir was einfallen lassen? Sag du mir, was ich um Himmelswillen jetzt tun soll!“

    „Kannst du nicht eine Revision veranlassen?“

    „Revision? Was soll das sein?“

    „Ja, irgendwas, ich habe doch keine Ahnung.“

    „Das merkt man. Und das eine sage ich dir: Zwischen uns ist es aus. Aus und vorbei.“

    „Nein, Charlie-Bärchen. Bitte sei nicht so hart zu mir. Weißt du noch unser Lied? The Way You Look Tonight …? Wenn du möchtest, dann singe ich es wieder für dich.“

    „Phillis. Mir ist jetzt nicht nach Gesang zumute … Es war überhaupt ein Fehler, mich mit dir einzulassen.“

    „Kann Liebe denn ein Fehler sein?“

    „Wenn mir ein wildgewordener Ehemann nach dem Leben trachtet, wahrscheinlich schon. Also, ich muss jetzt auflegen.“

    „Charlie-Bärchen … du bist mir doch nicht böse, oder?“

    „Auf Wiedersehen, Phillis.“

    Charlie legte auf und starrte einen Moment lang auf den Hörer. Sein Herz raste. Was sollte er jetzt tun? In den zwanzig Jahren seiner Tätigkeit als Direktor hatte er die Bank noch nie auch nur eine Sekunde zu spät geöffnet. Aber heute war das etwas anderes. Er konnte einfach nicht riskieren, dass Raymond hier auftauchte und einen Skandal verursachte. Oder schlimmer noch, gewalttätig wurde. Er atmete tief durch und drückte dann die Taste für sein Wechselsprechgerät: „Miss Lorry, bitte sagen Sie den Leuten, dass ich die gesamte Belegschaft in fünf Minuten unten vor dem Tresorraum sehen will … Ich weiß. Aber es geht um die neuen Regeln zum Schutz vor Überfällen. Bevor wir öffnen, will ich sichergehen, dass jeder Bescheid weiß. Und, Miss Lorry, bitte hängen Sie ein Schild an die Glastür, dass wir heute Vormittag geschlossen haben. Danke.“

    Charlie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann griff er erneut zum Telefon.

    „Charlie Coleman, First National Bank hier.“

    „Guten Tag, Mister Coleman, wie kann ich Ihnen helfen?“

    „Wir haben heute ein Personalproblem. Diese verdammte Grippe. Ich muss den Kurier abbestellen.“

    „Aber der Wagen ist schon zu Ihnen unterwegs, Mister Coleman. Er wird jeden Moment eintreffen.“

    „Ich weiß, deswegen rufe ich ja an. Es geht darum, dass ich aufgrund der schmalen Personaldecke heute für die Sicherheit nicht garantieren kann.“

    „Sie möchten die Lieferung also absagen?“

    „Ja, das möchte ich.“

    „Ich könnten versuchen, den Wagen über Funk zu erreichen.“

    „Oh, das wäre großartig. Wenn Sie das für mich tun wollten?“

    „Selbstverständlich, Mister Coleman. Sicherheit geht vor.“

    „Sie sagen es. Vielen Dank.“

    Charlie legte den Hörer auf und sank erleichtert in seinen Sessel. Er nahm sich vor, Phillis aus seinem Leben zu verbannen. Diesmal endgültig.

    Eine Stunde später.

    Phillis trug ihr hübsches, weinrotes Kleid, das Raymond so gern mochte, während sie wie vereinbart mit dem Wagen an der Brücke wartete. Sie rauchte eine Zigarette, jedenfalls tat sie so, denn ihrer Stimme wegen inhalierte sie nicht. Endlich sah sie die chromblitzende Front des Cadillac Fleetwood in der Ferne auftauchen. Die gemächliche Geschwindigkeit und die unaufgeregte Art, wie der Fahrer – es war Daniel, der Schlagzeuger, der am Steuer saß – die angerostete Luxuslimousine in die Kurve lenkte, um knapp hinter ihr zum Stehen zu kommen, verriet ihr, dass der ursprüngliche Plan gescheitert, ihr eigener Plan aber höchst gelungen war.

    Wie eine Horde ins Wasser gefallener Katzen sahen die Männer aus, als sie in ihren albernen Klamotten und den Instrumentenkoffern ausstiegen, in denen sie ihre Waffen versteckt hatten. Männer, zu allem entschlossen, die unverrichteter Dinge wieder abziehen mussten.

    „Wie war der Auftritt, Schatz?“, wollte Phillis aus Gewohnheit beinahe sagen, da kam ihr Raymond zuvor.

    „Revision.“

    „Revision? Was ist damit?“

    „Genau. Wieso wusstest du nichts davon?“

    „Ich habe keine Ahnung, Schatz. Wovon sprichst du?“

    „Der Laden war dicht. In der Tür stand Revision. Wir haben an jede Scheibe geklopft. Niemand da. Ein paar Kunden standen genauso blöd herum wie wir. Und von dem Geldtransporter keine Spur.“

    „Kein Geldtransporter? Aber Charlie … Mister Coleman hat mir fest versichert, dass alles immer nach demselben Ablauf funktioniert.“

    „Ja, außer ein paar abgehalfterte Jazzmusiker warten auf ihren großen Auftritt. Dann ist die Show plötzlich abgesagt. Kommt mir irgendwie bekannt vor.“

    „Oh, Raymond. Sei nicht enttäuscht. Komm her.“

    Raymond trat tatsächlich zu Phillis, und er küsste sie, ihren Körper dabei leidenschaftlich begrabschend.

    Vier Männer blickten wieder betreten zur Seite.

    „Revision. Was soll das überhaupt sein? Weiß jemand von euch, was das bedeutet?“

    Die Männer schüttelten die Köpfe.

    „Lasst uns verschwinden.“

    „Und der Wagen?“

    „Na, den nehmen wir wieder mit. Außer Spesen nichts gewesen. Kommt, wir fahren rüber in die Bar. Ich geb euch einen aus.“

    Die Männer stiegen in den Cadillac Fleetwood, Raymond setzte sich zu Phillis ins Auto.

    „Ach ja, Raymond, da ist Post für dich angekommen. Hier. Und deine Mutter hat angerufen. Ich hab uns übrigens neue Vorhänge bestellt. Weißt du, diese alten Fetzen, ich konnte sie einfach nicht mehr ertragen.“

    „Ist sowas nicht sehr kostspielig?“

    „Ach weißt du, Vorhang auf für ein neues Leben. Wer weiß, was noch alles passiert?“

    © 2024 by Christoph von Zastrow

  • Auf der Straße nach Fairview

    Auf der Straße nach Fairview

    „Guten Abend“ sagte der Mann.

    Die Frau zuckte zusammen. „Hi.“

    „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

    „Nein … ja. Er ist schon unterwegs.“

    „Wer? Wer ist unterwegs?“

    „Mein … Verlobter. Er ist in diese Richtung gegangen, um Benzin zu kaufen.“

    Der Mann blickte die leere Straße hinunter. „Ach, Ihnen ist also der Sprit ausgegangen?“

    „Ich vermute, ja.“

    „Sie sind sich also nicht sicher?“

    „Doch. Er hat gesagt, dass er Benzin holen muss.“

    „Wo wollten Sie denn hin?“

    Sie deutete vage. „In diese Richtung.“

    „Also in Richtung Fairview.“

    „Ja? Führt diese Straße nach Fairview?“

    Der Mann sah sich um. Wüste erstreckte sich in alle Richtungen. „Hören Sie, verzeihen Sie, ich möchte nicht indiskret wirken, aber in dieser Gegend ist es äußerst ungewöhnlich, dass jemandem das Benzin ausgeht. Wer diese Straße nimmt, weiß für gewöhnlich, dass er Vorkehrungen treffen muss.“

    „Welche Vorkehrungen?“

    „Wenn Sie hier liegenbleiben und in der Früh die Sonne aufgeht, dann kann es hier ziemlich ungemütlich werden. Tagsüber wird es hier sehr heiß, verstehen Sie? Bis zu 120 Grad Fahrenheit. Und wer weiß, wann ein anderes Fahrzeug hier vorbei kommt.“ 

    Die Frau umklammerte ihre Handtasche. „Ja, aber ich bin mir sicher, dass er bald zurückkommt.“

    „Ihr Verlobter, wie?“

    „… Ja.“

    „Haben Sie wenigstens etwas zu trinken?“

    „Leider, es tut mir leid. Wir haben gar nichts im Wagen.“

    „Ich meine, Sie sollten etwas zu trinken dabei haben. Es ist sehr gefährlich, kein Wasser im Auto zu haben.“

    „Danke, dass Sie sich Sorgen machen. Aber mir geht es gut.“

    „Ja, noch. Warten Sie, ich gebe Ihnen etwas. Ich gehe zu meinem Wagen und hole einen Kanister.“

    „Nein, nein danke. Ich möchte nicht … wenn er zurück kommt und … ich meine. Er wird bestimmt etwas mitbringen.“

    „So? Wird er das?“

    „Bitte, bitte lassen Sie mich.“

    „Ich tue Ihnen nichts.“

    Die Frau trat einen Schritt zurück. „Ja, aber bitte gehen Sie. Fahren Sie weiter. Wenn er … wenn er Sie bei mir sieht. Er ist sehr … eifersüchtig.“

    „Dann sollte er Sie hier nicht alleine in der Wüste stehen lassen, Ihr Verlobter.“

    „Ich weiß ja auch nicht.“

    „Dann finden wir es gemeinsam heraus.“

    „Nein, bitte, bitte. Ich flehe Sie an. Er wird kommen und … er hat eine Waffe.“

    „Eine Pistole?“

    „Ja.“

    „Verstehe. Wie heißen Sie?“

    „Cathrin. Und jetzt lassen Sie mich bitte.“

    „Mein Name ist Edward Longley. Ich habe ein neues Stück Land hier in der Gegend gekauft. Zwölf Meilen in dieser Richtung. Dort steht mein Wohnwagen. Wenn Sie und Ihr Verlobter möchten …“

    „Auf gar keinen Fall!“

    „Sie wissen doch noch gar nicht, was ich sagen will.“

    „Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht kränken.“

    „Darum geht es nicht. Cathrin, haben Sie Angst vor Ihrem Verlobten?“

    Stille. Nur das Zirpen der Grillen war zu hören.

    „Es ist doch Ihr Verlobter, oder?“

    Cathrin zeigte plötzlich zum Himmel. „Da, eine Sternschnuppe!“

    „Tatsächlich. Und so hell.“

    „Meine Mutter hat immer gesagt, wenn du eine Sternschnuppe siehst, dann ist jemand gestorben.“

    „Cathrin, Sie müssen mir jetzt zuhören. Sie müssen mir vertrauen. Ich habe das ganz deutliche Gefühl, dass Sie es sind, deren Leben in Gefahr ist.“

    „Wieso glauben Sie das?“

    „Sie können mir doch nichts vormachen. Eine Frau ganz alleine in der Wüste hat Angst vor ihrem Verlobten und seiner Waffe. Da stimmt doch etwas nicht.“

    „Lassen Sie mich. Und bringen Sie sich lieber selbst in Sicherheit. Denn wenn er zurückkommt …“

    „Cathrin, wie sieht Ihr Verlobter aus?“

    „Er ist klein. Kleiner als ich.“

    „… und trägt einen grauen Anzug. Rote Hosenträger. Und einen schwarzen Hut.“

    „Woher wissen Sie das?“

    „Weil ich ihn gesehen habe.“

    „Dann, sind Sie an ihm vorbei gefahren?“

    „Ich habe ihn an einer Busstation gesehen. Er ist in den Bus eingestiegen. Richtung Owaya.“

    „Ist dort die nächste Tankstelle?“

    „Die Busstation befindet sich direkt an einer Tankstelle. Ich selbst habe dort getankt. Und mir einen Kanister Wasser gekauft. Ihr Verlobter kam herein und hat sich zwei Schachteln Zigaretten gekauft.“

    „Aber, aber er hat doch gesagt …“

    „Haben Sie Gepäck dabei?“

    „Nur meine Handtasche.“

    „Gut. Ich werde jetzt Richtung Frairview fahren. Und Sie werden zu mir in den Wagen steigen. Und dann werden wir gemeinsam zur Polizei gehen.“

    „Zur Polizei?“

    „Ja. Denn heute Nacht wurde auf Sie ein Mordanschlag verübt.“

  • Ich krieg die Chrysler!

    Ich krieg die Chrysler!

    Neulich kam ich einmal früher als üblich aus der Arbeit und sprang bei uns um die Ecke noch kurz in den Lada. Ich wollte daheim einen Geburtstagskuchen für Kia in den Opel schieben und hatte neben einem Kasten Skoda-Wasser auch ein Netz Citroen, ein Glas Wald-Honda und einen Beutel geriebene Nissan in meinen Volkswagen gelegt, als ich bemerkte, dass ich wohl meinen Geldbeutel De Lorean hatte. Ich Buick mich also, da Suzuki zusammen, denn ich hörte plötzlich die Stimme von Kia. Sie trug ihren sexy Mini und lief Arm in Arm mit diesem Kerl aus unserem Haus Daewoo mir immer auf der Treppe begegnet, wenn er seine große Dodge Bugatti führt. Mercury, dachte ich noch, wieso ist Kia nicht bei ihrem Toyota-Kurs in den Alpina? Dann kapierte ich plötzlich, was hier lief.

    Dazu muss man wissen, dass der Cadillac unserer Beziehung schon seit einiger Zeit ab ist. Früher nannte Sie mich immer liebevoll ihren Alfa Romeo, inzwischen betitelt sie mich meistens mit geiles Fiat, wenn ich zu ihr ins Bett will. Lange Zeit hegte ich den Verdacht, dass Aston Martin seine Finger im Spiel hätte. Die Saab des Zweifels nagte jedenfalls schon länger an mir. Doch die Wahrheit war offenbar schlimmer. Ich krieg die Chrysler, Dacia ich mir in dem Moment. Muss es wirklich dieser braungebrannte Plymouth-Typ mit seinem Lexus-Körper sein?

    Draußen hab ich mich dann unbemerkt auf mein Ferrari geschwungen und bin wie in Trance durch die Gegend geradelt. Daihatsu dir doch glatt ins Gesicht gelogen. Echt Bitter. Der absolute Hummer eigentlich. Das tat so BMW. Dabei erinnerte ich mich daran, wie wir uns kennengelernt hatten. SsangYong war sie damals, mit einem super knackigen Peugeot und eine Paar praller Bristol. Und jetzt? Ist sie Ford. So gut wie jedenfalls.

    Nur mit der Subaru, Jeep keine Panik, sagte ich mir. Morgan ist schließlich Audi noch ein Tag. Da kannst du dich immer noch in den Maybach stürzen. Nach ungefähr zwei Stunden in der Kälte waren meine Mercedes dann zwar ganz Steyer gefroren, doch immerhin hatte ich wieder einen halbwegs McLaren Kopf, so dass ich nach Hause fuhr. Erstens musste ich dringend Lincoln. Und zweitens wollte ich Kia zur Rede stellen. Ich hatte mir vorgenommen, den Chevrolet rauszuhängen und zu sagen, dass sie mir gehört und sonst niemandem. Mazda! Doch wie ich sie dann so sitzen sah, auf der alten Volvo-Decke im Lotus beim Meditieren, da wusste ich plötzlich: Es ist aus und Hyundai.

    Ob sie mich überhaupt wahrgenommen hat? Ich weiß es nicht. Jedenfalls hab ich ihr dann einen Lancia Brief geschrieben, den ich mit Tesla an der Kühlschranktür befestigte und Isuzu, dass ich Land Rover gewinne.

    Text & Bild © Christoph von Zastrow

  • Super Clerk At Work

    Super Clerk At Work

       »Hallo, willkommen bei DXS-Motors. Ich bin Andy. Kann ich Ihnen helfen?«

       »Nein danke. Wir sind nur zufällig vorbei gekommen.«
       »Hahaha, da ist toll. Fa-bel-haft. Na kleiner, wie geht’s?«
       »Hallo.«
       »Tolle Frisur übrigens. Steht Ihnen fantastisch.«
       »Danke.«
       »Ich sage immer zu meiner Frau: Doris, einmal in der Woche zum Friseur, das reicht eben nicht.«
       »Und, hört ihre Frau auf Sie?«
       »Ah, Sie trägt die Haare jetzt kurz. Ein Jammer. Haha. Naja, Gott sei’s geklagt. – Vorsicht, Finger weg! – Nichts für Ungut, Kleiner. Willst du einen Aufkleber? Hier, warte, in meiner Tasche. Nttt!«
       »Da bedankst du dich aber, Oliver.«
       »Danke, Andy.«
       »Ah, ich sehe schon, Sie haben einen guten Blick. Der DXS-2001 HQX. Ist er nicht wahnsinnig schön? Haben wir eben erst reinbekommen. Direkt von der Automesse in Detroit.«
       »So? Ich wußte gar nicht–«
       »Ja, ich weiß was Sie jetzt denken. Und: Nein, das ist keiner von diesen Konzeptwagen, mit denen man Ihnen jedes Jahr wieder nur den Mund wässrig macht, und die es dann doch nie zu kaufen gibt. Nein, das hier ist das Vorserienmodell!«
       »Interessant.«
       »Interessant? Das ist Wahn-sinn! In einem Jahr werden Sie den DXS-2001 HQX überall in Amerika auf den Straßen sehen. Aber bei uns, da bekommen Sie dieses Einzelstück schon heute!«
       »Moment: Sagten Sie nicht, dass es sich um ein Serienmodell handle?«
       »Vor-Serien-Modell, bitte sehr! Und ein Einzelstück. Die Ausstattung dieses Wagens werden Sie nirgends sonst in Amerika oder auf der Welt noch einmal wiederfinden. Werfen Sie einen Blick hinein. Na los, worauf warten Sie?«
       »Danke Andy, aber ich glaube nicht, dass wir genügend Zeit …«
       »Schatz? Ich würde den Wagen sehr gerne sehen. Schließlich habe ich noch nie–«
       »Das hier hat praktisch noch niemand vor Ihnen gesehen.«
       »Außer den geschätzten eine Million Meessebesuchern wahrscheinlich.«
       »Dennis…!«
       »Kommen Sie. Ein kurzer Druck genügt, die Flügeltür öffnet sich und voilá. Steigen Sie ein! Achtung, nicht den Kopf anstoßen. Ssssooooo. Sie werden begeistert sein, was der DXS-2001 HQX für Annehmlichkeiten bietet. Ergonomische Hydrauliksessel, farbige Digital-Armaturen, Bordcomputer, Relax-Area mit fünffach beuhigtem Wasserbett sowie Heiz- und Massagefunktionen, kombinierte WC-, Bad und Whirlpoolanlage, Quadrophnisches Audio-Enterntainment-System und: eine Holovideo-3000-Anlage. Natürlich nur für die Fahrgäste. Hahahaha.«
       »Was, ich muss immer noch selber fahren?«
       »Ja-ha, wenn Sie ein autonomes Fahrzeug wünschen, dann–«
       »Nein, nein. Ich bevorzuge es, den Wagen selbst zu schrotten.«
       »Hahahaha, das ist gut. Das ist sehr gut, Dennis. Ich darf Sie doch Dennis nennen?«
       »Eine Frage, Andy: Ist das nicht alles sehr teuer?«
       »Teuer? Hahaha. Teuer, ist ein relativer Begriff. Wenn Sie überlegen, was dieses Auto hat und was es kann, und wie wenig Sie dafür bezahlen müssen…«
       »Na los, Andy, rücken Sie raus: Was kostet die Kutsche?«
       »Tja … hahahaha … nichts.«
       »Wie bitte?«
       »Nichts. Im ersten Jahr. Und ab dem zweiten Jahr mit einem Ratenkredit von der City Bank bei einem effektiven Jahreszins von sagenhaften 0,0 Prozent, erhalten Sie diesen Wagen – zum Nulltarif.«
       »Das verstehe ich nicht.«
       »Ganz einfach: Dieses Auto ist so gut, dass es jeden einzelnen Credit wert ist, den Sie dafür bezahlen. Sie erhalten also exakt den Gegenwert dessen, was Sie bezahlt haben. Der Wagen kostet Sie also nichts.«
       »Wenn ich aber dann irgendwann – wie viel sagten Sie noch mal? – bezahlt habe–«
       »…haben Sie doch den Wagen dafür.«
       »– – – –???!!!«
       »Papa?«
       »Andy, ich glaube, Sie versuchen uns über den Tisch zu ziehen.«
       »Papa!«
       »Was ist denn?«
       »Andy ist kein Mensch.«
       »Wie bitte?«
       »Der ist Android.«
       »Andy? Ein Roboter?!«
       »Sehr wohl. Modell „Florida 1971 Sales Clerc CX“. Wünschen Sie eine Demonstration?«
       »Schatz? Lass uns bitte weiter gehen.«
       »Wiedersehen. Und vielen Dank, dass Sie DXS-Motors besucht haben.«
       »Ja, du mich auch, Andy.«
       »Sie sind ein Witzbold, Dennis. Nicht wahr? Ein Witzbold, hahaha. – Na Kleiner? Willst du einen Aufkleber? – Tolle Frisur übrigens. Ich sage immer zu meiner Frau: Doris, einmal in der Woche zum Friseur, das reicht eben nicht.« ▩

    Text & Bild: © Christoph von Zastrow